Zur Erinnerung
Prof. em. Dr. habil.
Paul Grimm


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Informationen für die Museen der DDR

2/89 Institut für Museumswesen
Seite 62 bis 66

Ein Dokument der Museumsgeschichte:

L. Silina, E. Pokrows'ka, E. Machno

Dem Jubilar Professor Dr. Paul Grimm die besten Erfolge!

Mit einer Vorbemerkung von V. Schimpff, Leipzig:

Das hier abgedruckte Dokument stammt aus dem Jahre 1987. Zwar war es zur Veröffentlichung bestimmt, doch wird es hier nicht allein als Glückwunsch, sondern zuvörderst als ein historisches Dokument herausgegeben. Es ist ein Zeugnis, das Museumsgeschichte aus der Zeit des brutalsten und verheerendsten Aggressionskrieges, den Europa in unserer Zeit erlebt hat, mit hoher Aussagekraft überliefert.

Ein solches Dokument hätte auch herausgegeben werden müssen, wenn sein Inhalt keine Laudatio auf einen tätig humanistischen Wissenschaftler unter der Herrschaft der Barbarei gewesen wäre. Dennoch darf m.E. neben dem dokumentarischen sein ethischer Charakter nicht übersehen werden.

In diesem Glückwunsch wird ein deutscher Archäologe gewürdigt, dessen Verhalten während der Diktatur - als Museumsleiter im besetzten Kiew - später ungerechtfertigten, folgenreichen Beschuldigungen ausgesetzt war. Mit seinem Verhalten hatte er aber vielmehr bewiesen, daß es - entgegen Nietzsches Diktum - keine Bedingungen gibt, die es nicht erlauben, nicht Barbar zu sein. Es lehrt uns auch Sorgfalt beim Bewerten der unter konkreten historischen Bedingungen handelnden Menschen: So wie hier mag oft der scheinbare Kompromiß in Wirklichkeit kompromißlose Konsequenz enthalten haben. Das gilt ebenso für jene, deren museale Arbeit unter der Herrschaft des Feindes danach dogmatische Mißdeutungen erfahren und zu Repressalien führen konnte. Für sie war dieses Arbeiten nicht nur eine Form des individuellen Überlebens, sondern auch Arbeit für das kulturelle Überleben ihres Volkes. Rückblickend bestätigen die Autoren, daß dadurch "die größten Kostbarkeiten der Vergangenheit unseres Volkes in Kriegszeiten gerettet werden konnten."

Aktionen wie die Umlagerung des Fundmaterials aus dem Kiewer Institut für Archäologie gehören zweifellos bereits in das Feld des Widerstandes. Wir dürfen jedoch nicht übersehen, daß die Museen keine originären Orte des Widerstandskampfes sein konnten. Aber Resistenz war möglich, und resistent gegen die Menschenfeindlichkeit des Faschismus ist auch Paul Grimm aus wissenschaftlicher und menschlicher Integrität gewesen.

Über die persönliche Würdigung für einen Archäologen, der "den Teil der deutschen Nation verkörperte, der ihr Ehre macht", hinaus ist der hier publizierte Glückwunsch eine wertvolle Quelle auch für die Erforschung des Problems jener Resistenz in der Geschichte der Museen im faschistischen Deutschland und allgemein in der Wissenschaftsgeschichte. Zugleich ist er ein Beitrag zur Geschichtsschreibung und Traditionspflege der prähistorischen Archäologie, um deren Instrumentalisierung für die Begründung und Propagierung ihrer Ideologie die deutschen Faschisten mehr als bei den meisten anderen Disziplinen bemüht - jedoch, exemplum docet, nicht im gewünschten Maße erfolgreich - waren.

Herrn Dr. Alexander Häusler, Halle/Saale und Berlin, der die Laudatio aus Kiew überbrachte, in feinsinniger, die Intention und Diktion der Autoren wahrender Weise übersetzte und die Herausgabe als Dokument der Museumsgeschichte an dieser Stelle gestattete, ist dafür sehr zu danken.

V. Schimpff


Dem Jubilar Professor Dr. Paul Grimm die besten Erfolge!

In diesem Jahr wird Professor Dr. Paul Grimm, der in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik (1035 Berlin, Prenzlauer Berg 18, 15/01) wohnt, 80 Jahre alt.

Ungeachtet seines fortgeschrittenen Alters setzt Dr. Grimm seine Arbeiten zur Problematik der frühen Slawen auf dem Gebiet Deutschlands fort.

Über seine Forschungen hat er mehrfach auf Konferenzen des Instituts für Archäologie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR sowie unlängst in einem Vortrag am Institut für Archäologie der Akademie der Wissenschaften der Ukrainischen SSR berichtet.

An diesem Institut hat man sich schon lange daran gewöhnt, daß zu besonderen Anlässen, wie Neujahr, 8. März, 1. Mai, aus der Hauptstadt der DDR Grußtelegramme und Briefe ankommen. Professor Paul Grimm schickt sie an die ehemaligen Mitarbeiter des von ihm (1941-1942) geschaffenen Museum für Alte Geschichte in Kiev.

Nun wollen wir unseren Blick auf den Anfang der 40er Jahre, auf die faschistische Besetzung der Ukraine richten.

Herbst. Das Jahr 1941. Ein verlassenes Kiev; es herrschen Hunger, Kälte und Angst. An den Hauswänden hängen amtliche Warnungen mit dem Inhalt, daß selbst die (vom Standpunkt der neuen Machthaber) geringsten Verfehlungen der Einheimischen "mit dem Tode bestraft" werden. Diese Worte sind fettgedruckt und fallen schon aus der Ferne ins Auge. "WERDEN MIT DEM TODE BESTRAFT".

An der Ecke der Lin- und der Vladimir-Straße steht ein beleibter Polizist, ein Symbol der faschistischen Macht, ein Zeugnis dessen, daß diese Drohung auch wahrgemacht wird.

Bald darauf wird bekanntgemacht, daß in Kiev 300, dann 500 Geiseln hingerichtet worden sind.

Es sei auch an folgende Tatsache erinnert ... Um mehr Platz für den eigenen Bedarf zu gewinnen, wurde in der Sevcenko-Straße auf Befehl der Faschisten die wertvolle Kartothek des Institute für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der Ukrainischen SSR, deren rechtzeitige Evakuierung nach dem Osten nicht gelang, aus dem Fenster geworfen. Der Wind erfaßt einzelne Blätter, sie fallen wieder und verschwinden im unsichtbaren Nebel.

Dieses Schicksal stand auch dem Fundmaterial des Instituts für Archäologie bevor. Die Mitarbeiter, welche zu diesem Zeitpunkt noch in Kiev waren (heute sind es Veteranen der Arbeit), retteten es jedoch. Hungrig und erschöpft trugen sie alles auf ihren Schultern an einen sicheren Ort, aus dem vierten Stockwerk eines Hauses in das fünfte eines anderen. Aber was dann? Als Perspektive schien sowohl der Hungertod als auch "mit dem Tode bestraft" durchaus real.

Und plötzlich kam die Rettung ... Die ehemaligen Mitarbeiter des Instituts für Archäologie, sowie des Historischen Museums wurden, ohne jegliche Ausnahme, durch den jungen Archäologen Paul Grimm zur Arbeit eingestellt.

Unter anderen Mitarbeitern fanden hier auch eine Teilnehmerin am Bürgerkrieg und Rotarmisten1, ein aus der Gefangenschaft geflohenes Mitglied der kommunistischen Partei, ferner der Sekretär der Komsomolorganisation des Instituts für Archäologie ihren Unterschlupf.

Obwohl nicht alle erforderlichen Papiere dieser Personen vom Standpunkt der faschistischen Behörden aus richtig ausgefüllt waren, sah Paul Grimm davon ab, sie mit den übergeordneten Stellen zu überprüfen und nahm die ganze Verantwortung auf sich.

Die Aufgabe von Paul Grimm bestand darin, in Kiev auf der Basis des einheimischen Materials ein Museum für Alte Geschichte zu gründen.

Das Material des Instituts für Archäologie war durch dessen Mitarbeiter gerettet worden, während sich die Altertümer des Historischen Museums auf dem Gelände des Kiever Höhlenklosters ohne jegliche Aufsicht in den halbzerfallenenRäumen, die nun weder Fenster noch Türen besaßen, befanden.

Ungeachtet des sehr strengen Winters, ungeachtet dessen, da die hungrigen Mitarbeiter in ungeheizten Räumen, einer schrecklichen Zugluft ausgesetzt, arbeiteten, wurden die Arbeiten so organisiert, daß (unter Heranziehung von zahlreichen fremden Arbeitskräften und der notwendigen Transportmittel) das gesamte archäologische Fundmaterial von Kiev innerhalb einer kurzen Zeit im Gebäude des heutigen "Haus des Lehrers" zusammengefaßt wurde.

Betrachten wir diese Zeit heute objektiv, so müssen wir anerkennen, daß die größten Kostbarkeiten der Vergangenheit unseres Volkes vor der Vernichtung in Kriegszeiten gerettet werden konnten. Sie wurden den Mitarbeitern zugängich und für die Wissenschaft bewahrt.

Ungeachtet der menschenfeindlichen offiziellen Einstellung des faschistischen Deutschland, ja, im Gegensatz dazu, herrschte im Kollektiv des Museums ein Geist der gegenseitigen Achtung und Hilfe, der Geist eines tiefempfundenen Humanismus, welcher Paul Grimm nicht nur einfach eigen war, sondern sein Wesen ausmachte. So hat Paul Grimm, im Gegensatz zu den offiziellen Anordnungen, die einheimischen Spezialisten mit Arbeit versehen und die notwendige Anzahl aus den Reihen der privilegierten Schicht der "Volksdeutschen" nicht angestellt.

Gemäß den damals herrschenden Vorschriften hatte der Leiter des Recht, selbständig, ohne jedwelche Absprachen, denjenigen, welche gute Arbeit leisteten, das Gehalt um 10 % zu erhöhen. Diese Entlohnung erhielten ausnahmslos alle Mitarbeiter, selbst eine Mitarbeiterin, welche infolge einer Schwangerschaftsvergiftung im Krankenhaus lag. Sogar noch mehr, nach der Geburt des Kindes wurde ihr ein zweimonatiger Urlaub bezahlt. Mitarbeiter, welche in Not gerieten, konnten jederzeit auf die Unterstützung von Paul Grimm rechnen. Er hat sogar einen, wenn auch erfolglosen Versuch unternommen, dem von der Gestapo verhafteten Parteimitglied M.V. Kuznecov zu helfen, welcher von der Gestapo nicht mehr zurückgekehrt ist.

Im Herbst ging die Leitung des von Paul Grimm gegründeten Museums an Stampfuß über. Der Unterschied zwischen diesen zwei Leitern war sehr ausgeprägt. Dem Mitarbeiterkollektiv wurde noch deutlicher, daß Paul Grimm den Teil der deutschen Nation verkörpert, der ihr Ehre macht. Er erfreute sich verdientermaßen der Hochachtung des gesamten Kollektivs. Das Gefühl der Dankbarkeit und Freundschaft verbindet die noch lebenden Mitarbeiter des Kollektivs jener Zeit mit Professor Dr. Paul Grimm in Berlin.

Den Jubilar anläßlich seines 80. Geburtstages beglückwünschend sprechen wir unseren tief empfundenen Dank für die konkrete Hilfe aus, welche er ausnahmslos allen von uns ständig erwiesen hat. Wir stellen mit Freude fest, daß der Hauptinhalt im Leben unseres Jubilars, der früher dem Neolithikum galt, in den Nachkriegsjahren die Erforschung der Slawen auf dem Gebiet Deutschlands wurde und noch ist.

Wir wünschen Paul Grimm zum Ruhme der Archäologie unserer beiden heute befreundeten Völker auf diesem Feld viele weitere Erfolge!


Die Veteranin der Arbeit Künstlerin L. Silina sowie
die wissenschaftlichen Mitarbeiter E. Pokrows'ka und
E. Machno, Kandidaten der Wissenschaft.